Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Ausgabe: 59 (2011) H. 2

Verfasst von: Hans Hecker

 

Rolf-Dieter Müller An der Seite der Wehrmacht. Hitlers ausländische Helfer beim „Kreuzzug gegen den Bolschewismus“ 19411945. Berlin: Links, 2007. 275 S., Abb., Kte. ISBN: 978-3-86153-448-8.

Eine Gesamtdarstellung zu diesem Thema war überfällig. Der Wissenschaftliche Direktor am Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam und Professor für Militärgeschichte an der Humboldt-Universität Berlin hat nun ein übersichtlich konzipiertes Werk vorgelegt, das erstmals eine Zusammenschau aller Nicht-Deutschen bietet, die während des Zweiten Weltkrieges am militärischen Kampf des nationalsozialistischen Deutschland gegen die Sowjetunion in irgendeiner Form beteiligt waren. Im Vorwort werden der Begriff der Kollaboration im Hinblick auf die vielfältigen Formen der mehr oder minder freiwilligen oder erzwungenen Beteiligung problematisiert und die in den verschiedenen Ländern daraus resultierenden Schwierigkeiten erörtert, dieses Thema der öffentlichen Diskussion auszusetzen. Die umfängliche Einleitung bietet einen knappen Überblick zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges im Osten, der auch Hitlers Vorstellungen und Weisungen bezüglich der Eroberung von „Lebensraum im Osten“, der rassenideologisch begründeten „Neuordnung Europas“ und der entsprechenden Einstufung und „Behandlung“ der im östlichen Europa lebenden Menschen einbezieht. Hier klingt bereits der Grundton an, der in jedem der folgenden Kapitel mehrfach angeschlagen wird: Hitler betrachtete den Eroberungskrieg im Osten als deutschen Krieg, der die rassische Überlegenheit des deutschen Volkes beweisen und für die Zukunft sichern sollte. Deswegen ließ er sich, wenn überhaupt, dann nur ungern bis widerwillig darauf ein, andere Völkerschaften daran zu beteiligen, da er sie zum allergrößten Teil verachtete.

In drei systematisch gegliederten Teilen stellt der Verfasser in je einem Kapitel die in Frage kommenden Länder und Völker mit einem Abriss der Entwicklung ihres Verhältnisses zu Deutschland seit dem Ersten Weltkrieg vor. Jedes dieser Kapitel mündet in eine knappe Schilderung der Rolle, die die jeweiligen „ausländischen Helfer“ während des Zweiten Weltkrieges gespielt haben. Gelegentlich fügt er noch einen bis in die Gegenwart reichenden Ausblick an. Im ersten Teil werden die in unterschiedlicher Weise mit dem Deutschen Reich verbündeten Staaten vorgestellt: Finnland, Ungarn, Rumänien, Italien, Slowakei und Kroatien. Der zweite Teil gilt den Freiwilligen aus neutralen und besetzten Gebieten: Frankreich, Belgien, Niederlande, Dänemark, Norwegen und Spanien. Der dritte Teil behandelt „die osteuropäischen Völker im Kampf gegen den Stalinismus“. In dieser Überschrift deutet sich die Motivation insbesondere derjenigen an, die in den baltischen Republiken, in Polen, in Weißrussland, in der Ukraine, in Russland und im Kaukasusgebiet zum Einsatz auf deutscher Seite bereit waren. Allerdings war die „Rettung Europas“ vor dem Bolschewismus respektive dem Stalinismus auch sonst die Parole, unter der für die Unterstützung Deutschlands geworben wurde. Dass Resonanz und tatsächlicher militärischer Nutzen unterschiedlich ausfielen, hatte mehrere Gründe: Zum einen erhoffte man sich dort, wo man im sowjetischen Machtbereich gelebt hatte oder lebte, die Befreiung von diesem Regime und dessen Niederlage. Ideologische Gründe wie Antikommunismus und Antisemitismus spielten bei vielen Freiwilligen aus West und Ost eine Rolle. Zum andern gab es aber auch, wie etwa in Italien, das Bestreben, nach dem erwarteten deutschen Sieg an der „Neuordnung Europas“ mitzuwirken, mit anderen Worten: einen Anteil an der Beute abzubekommen. Konkurrenz um die Gunst Hitlers, der die jeweiligen national-expansionistischen Ambitionen erfüllen sollte, und die gleichzeitige Rivalität zwischen verfeindeten Nachbarn bestimmten das Verhalten z.B. Ungarns und Rumäniens oder der Kaukasusvölker. Neben den Freiwilligen hatte man es mit mehr oder minder zum Dienst gezwungenen Menschen und deren naturgemäß äußerst begrenzter Einsatzbereitschaft zu tun.

Gegen die indifferente rassenideologische Verbohrtheit Hitlers und Himmlers, die den nicht veränderbaren Hintergrund der deutschen Politik bildete und in den Slaven nur Untermenschen sowie in den Angehörigen der meisten anderen Völker auf jeden Fall nachrangige Existenzen sah, setzten sich abweichende Meinungen ab. Sie reichten von dem Programm der „Dekomposition“ der Sowjetunion des Reichsministers für die besetzten Ostgebiete Alfred Rosenberg durch einen differenzierten Umgang mit den Nationalitäten bis zu einem eher pragmatischen, meistens von Nützlichkeitserwägungen bestimmten Denken in der Wehrmacht und unter den Ministerialbeamten. Das in diesem Band entworfene Gesamtbild zeigt auf deutscher Seite eine weit verbreitete Unkenntnis der Verhältnisse, die zu irrwitzigen Aktionen wie z.B. zum Massenmord an muslimischen Kaukasusvölkern führte, weil man sie, da die Männer beschnitten waren, für Juden hielt. In dem Durcheinander widerstreitender Vorstellungen, Hoffnungen und Befürchtungen hatte die militärische Führung immer noch die Animositäten zwischen den nichtdeutschen „Helfern“ zu berücksichtigen. Ständige Umorganisation und Umgruppierungen sowie die halsstarrige Weigerung Hitlers, Angebote von Personen anzunehmen, die er für minderwertig hielt – das berühmteste Beispiel ist General Vlasov mit seinem Plan einer russischen Befreiungsarmee –, oder der aus dem gleichen Grund erfolgte Einsatz an sich kampffähiger Verbände vor allem für Transport- und Hilfsaufgaben waren die Folge. Erst kurz vor dem Ende wurden sie noch für den sinnlosen „Endkampf“ um Berlin regelrecht verheizt.

Trotz alledem kommt der Verfasser zu dem Ergebnis, dass die „ausländischen Helfer“ einen wesentlichen Beitrag zur Verlängerung des Krieges geleistet haben. Er rechnet vor, dass sie bereits in der ersten Phase des Krieges gegen die Sowjetunion ein Viertel der insgesamt vier Millionen Soldaten an der Ostfront stellten. Ihr Anteil erhöhte sich im Laufe des Krieges bei sinkender Zahl deutscher Soldaten um eine weitere Million, zum großen Teil finnische, ungarische und rumänische Wehrpflichtige, in der Masse, neben anderen einheimischen Freiwilligen, jedoch Russen: „Ohne die Mithilfe von russischen Freiwilligen in den verschiedensten Formationen hätte die Wehrmacht wohl spätestens mit der Wende von Stalingrad den Ostkrieg nicht mehr führen können.“ (S. 226) Mit drei Thesen, die sich auf den Fortgang des Krieges im Osten beziehen, fasst der Verfasser noch einmal zugespitzt seine Neubewertung der Rolle der „ausländischen Helfer“ zusammen: 1. Nur die Flankendeckung durch die verbündeten Armeen machte 1941 den Vorstoß bis Moskau möglich. 2. Allein durch die Verstärkung der Verbündeten konnte 1942 die Sommeroffensive in Richtung Wolga und Kaukasus durchgeführt werden. 3. Spätestens nach Stalingrad konnte der Zusammenbruch der Ostfront nur dank der „ausländischen Helfer“ verhindert werden. Dabei vergisst der Verfasser nicht, auf die Bedeutung des Millionenheeres von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen in Wirtschaft und Rüstungsindustrie hinzuweisen.

Vom Ende, von den Ergebnissen und Wirkungen des Krieges her greift Müller auch noch einmal die Problematik des Begriffes „Kollaboration“ auf. Angesichts der Vielschichtigkeit der Motive für die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem nationalsozialistischen Regime in dessen Krieg gegen die Sowjetunion, sieht er ihn schließlich nur noch als „Odium für alle, deren man sich bei Kriegsende entledigen wollte“ (S. 245). Diese Sicht halte ich für allzu pragmatisch und daher für einen der diskussionswürdigen Punkte des Buches. Insgesamt liegt mit diesem Werk eine Übersichtsdarstellung vor, die in ihrer Zusammenstellung, guten Lesbarkeit und klaren Thesenbildung Nutzen bringt und zur Diskussion anregt. Blickt man in die Literaturliste, findet man ausschließlich deutsche und englische Titel. Gewiss sollte der verdienstvolle Autor nicht überfordert werden, aber das völlige Übergehen der Publikationen aus den betroffenen Ländern provoziert doch ein großes Fragezeichen. Hätte er sich nicht doch der Unterstützung Sprachkundiger bedienen können? So bleibt das Buch nützlich, aber nicht das letzte Wort.

Hans Hecker, Düsseldorf

Zitierweise: Hans Hecker über: Rolf-Dieter Müller An der Seite der Wehrmacht. Hitlers ausländische Helfer beim „Kreuzzug gegen den Bolschewismus“ 1941–1945. Ch. Links Verlag Berlin 2007. ISBN: 978-3-86153-448-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Hecker_Mueller_An_der_Seite_der Wehrmacht.html (Datum des Seitenbesuchs)

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